Mittwoch, September 20, 2006

Ich schäme mich

für meine herablassend-mitleidige und v.a. sich in der eigenen vermeintlichen Sicherheit suhlende Position, die ich gegenüber der Kreationismusdebatte in den USA eingenommen hatte und ich schäme mich für Deutschland, ein Land, dessen "Spitzen"-Politiker es gern als Bildungs- und Wissenschaftsstandort hochjubeln und in dem es, wie ich gestern zu meinem grenzenlosen Entsetzen erfahren mußte, vollkommen legal und gängige Praxis ist, im Biologieunterricht neben der Evolutionstheorie den Schöpfungsmythos und IDiotie als völlig gleichberechtigte Alternativen für die Entstehung des Lebens zu verkaufen und damit die Opfer (hier: Schüler) ins geistige Mittelalter zurückzulügen, denn natürlich vertreten die "Lehrer", die freiwillig von diesen "Alternativen" sprechen, auch die entsprechende Position und lassen die Schüler nur allzudeutlich wissen, was sie für die richtige Erklärung halten!!!
Als Beispiel für eine solche fassungslos machende Katastrophe wurde die private August-Hermann-Francke-Schule in Gießen genannt, die in ihren Leitzielen ganz offen durchblicken läßt, was ihr eigentliches Ansinnen ist und das ist sicher nicht Bildung sondern Dogmatisierung. Es wird mit der üblichen Floskel der IDioten operiert, daß nämlich die
"kritische Auseinandersetzung mit Weltbildern, Denk- und Werte-systemen und deren Konsequenzen im pluralistischen Meinungsspektrum unserer Gesellschaft"
gefördert werde, was schlicht Phrasendeutsch ist, für: "Wir stellen alle Errungenschaften und Werte der aufgeklärten Gesellschaft unter Berufung auf die Bibel in Frage. Darunter: Gleichberechtigung, Emanzipation, Religionskritik und - freiheit und Evolutionstheorie." Lehrer dieser Anstalt (im schlechtesten Sinne) sprachen offen darüber, wie sie im Biologieunterricht den Schöpfungsmumpitz behandeln, Schüler berichteten, daß ihnen die Position des Lehrers recht einseitig und eindeutig voreingenommen vorgekommen sei, empörte Eltern, die ihre Kinder aus diesem Irrenhaus gerettet hatten, fürchteten schwere Schäden für die naturwissenschaftliche Bildung und Konkurrenzfähigkeit (Zentralabitur!) der dortigen Opfer/Schüler.
In den USA - und ich erkenne mich selbst kaum wieder, daß ich ausgerechnet dieses Land an dieser Stelle als Vorbild nennen muß - würde sich ein Lehrer, der so etwas sagt und tut, strafbar (!) machen! Nach einem langwierigen Prozess ist dort erneut und unmißverständlich klargestellt worden, daß Kreationismus und IDiotie, die im Verlaufe des Prozesses nocheinmal ganz zweifellos als dessen verkommener Ableger erkannt wurde, nichts im Unterricht und der Bildung Heranwachsender zu suchen haben und daß es verfassungswidrig ist, in einem sekularen Land die naturwissenschaftliche Erziehung von Schülern mit religiösem Mumpitz zu verseuchen! Nicht so in Deutschland. Auf die entsprechende Anfrage beim Land Hessen, erhielt man eine lapidare Antwort, in etwa: "ist doch bekannt, was die da machen, die Eltern brauchen ihre Kinder ja nicht hinzuschicken. Was wollt Ihr von uns? Ist das etwa unsere Sache, die Lehrpläne zu kontrollieren?" Im Bericht lautete das Fazit sinngemäß: "Wenn eine Privatschule erstmal zugelassen ist, wird sie nicht weiter kontrolliert und kann eigentlich machen, was sie will."
HALLO?!?!?!? Ich wette, man wäre etwas aufgeregter im schwarzen Koch-Hessen, wenn der Geschichtslehrer in dieser Anstalt von der Ausschwitzlüge anfangen würde und das in den Medien erscheinen würde, dann wäre es sicher nicht mehr ganz so (l)egal, was die Privatschule da treibt. Aber etwas so unwichtiges und bei einer mit "C" beginnenden Partei vielleicht gar nicht so ungern gesehenes, wie die Gefährdung des wissenschaftlichen Bildungsstandards und damit Kritik- und Diskursfähigkeit der Bevölkerung durch religiösen Fundamentalismus, lockt natürlich keinen Hund hinter dem Ofen vor. Was dahinter steckt, läßt sich gut mit einem Zitat P. Kitchers aus der ZEIT, Ausgabe 38, 2006, S.43 wiedergeben: "Schließlich haben schon frühzeitliche Gesellschaften festgestellt, daß sich durch Verweis auf ein allwissendes Wesen, das über unsere Handlungen richtet, Gesetzestreue hervorragend durchsetzen läßt." Und hier offenbart sich der menschenverachtende Zynismus, den man annehmen muß, wenn man sich so etwas vergegenwärtigt: es ist schon in Ordnung, daß Schüler, Schutzbefohlene (Schutz auch vor Dogmen und geistiger Verletzung!) absichtlich und wissentlich in ihrer Bildung und geistigen Unabhängigkeit behindert werden, wenn sie nachher dann eine C-Partei wählen, parieren und die Schnauze halten!
Also stehen wir am Ende schlechter da, als die Amerikaner. Was für ein Skandal! Dort gibt es wenigstens eine Debatte (die es zugegebenermaßen natürlich nicht geben dürfte, weil es keine wissenschaftliche Alternative und damit Gegenposition zur Evolutionstheorie gibt), dort gibt es wortgewaltige Intellektuelle, Wissenschaftler und Blogger, die die ID-Bewegung jeden Tag bekämpfen, dort wurde gegen die gleichberechtigte Behandlung von ID und Evolution im Unterricht erbittert und erfolgreich gestritten (s.o.) und ID ist in diesem Prozess mit Pauken und Trompeten untergegangen. Und was ist hier? Nichts! Natürlich nimmt kein seriöser deutscher Biologe IDiotie auch nur ansatzweise ernst, meist wird dieses Thema einfach ignoriert, aber wo ist der lautstarke Widerstand gegen solche Barbarei wie in Hessen?! Wieso darf es sowas geben?!?
Der Gipfel der Ironie ist übrigens, daß selbst die nicht gerade fortschrittliche und wissenschaftsgeneigte katholische Kirche nicht und nicht einmal ihre erzkonservativen Vertreter wie Herr Schönborn den Kreationismus befürworten, ihn gar als "ganz und gar unsinnig" bezeichnen, mithin belegen, daß die Lehre eines solchen abartigen Quatsches weit über die Forderungen selbst der Kirche hinausgehen und von dieser nicht nur nicht gestützt sondern sogar abgelehnt wird. Dies aber ist dann das sicherste und unwiderlegbare Kennzeichen des Fundamentalismus. Und man kann geteilter Meinung darüber sein, ob Religion (und dann auch nur im gleichnamigen, fakultativen Fach) in der Schule etwas zu suchen hat, aber Fundamentalismus muß jeder vernünftige und verantwortungsbewußte Mensch in jeder Form und an jedem Ort voller Abscheu ablehnen!
Dieser Eintrag bezieht sich nur auf den ersten von mehreren Berichten des gestrigen Themenschwerpunktes bei arte, mehr konnte ich nicht auf einmal ertragen. Die weiteren Beiträge werde ich noch ansehen und dann hier besprechen, wenn ich noch kann. Aber für heute bin ich erstmal am Ende....

P.S.: Hier noch ein Nachtrag: Der Spiegel ließ sich auch darüber aus....

Nachtrag vom 22.9.2006:
- Offenbar hat den radikalen Fundis der arte-Beitrag überhaupt nicht gefallen... meine Betroffenheit darüber hält sich allerdings in überschaubaren Grenzen. Einer der Geiferer sagte:
"Es kann doch nicht sein, dass wir mit unseren Rundfunkgebühren Beleidigungen an Christen mitfinanzieren.“
Da mußte ich dann doch kurz schmunzeln, denn wieviele gottgefällige Volksmutanten-Sendungen und verdammte, stundenlange (!!!!) Papst-Besuch-Übertragungen muß man bitte von seinen Rundfunkgebühren zahlen??! Und außerdem zahle ich auch Herrn Meier, der in seinem Unterricht an einer staatlichen Schule Schöpfungslüge unterrichtet hat, sein Gehalt (nicht, daß ich eine Wahl hätte).
- Danke an arte!!! Es ist zwar traurig, daß es erst so eines Filmes bedurfte, um die feinen Damen und Herren der C-Partei, denen jetzt offenbar gehörig der Wind um die Ohren pfeift, zur Tat zu bewegen, aber besser so als gar nicht, denn: es tut sich was! Die SPD hat massiv protestiert und in der staatlichen Liebig-Schule ist mit dem Wahnsinn sofort Schluß gemacht worden: dem Lehrer wurde verboten, im Biologieunterricht die Schöpfungslüge zu verbreiten.

Nachtrag vom 24.11.2006:
Mein lieber Mann! Dre durch den arte-Bericht aufgedeckte Skandal, die Tatsache, daß an mindestens zwei hessischen Schulen Kreationismus im Biologieunterricht gelehrt wurde, wird nun sogar in nature diskutiert. Auch Frau Wolfs unsägliche, peinliche Einlassung dazu ist nature nicht verborgen geblieben. Dort heißt es (Nature 444, 406-407 (23 November 2006) | doi:10.1038/444406a; Published online 22 November 2006):
Last month, for example, it emerged that creationism is being taught at two schools in the German state of Hesse. The incident, albeit minor, has provoked debate in the country. The Christian view of creation should at least be discussed in science classes, argues Karin Wolf, Hesse's Christian Democrat education minister. But the Association of German Biologists warns of the dangers of blurring the division between science and religion.
Hmm, wie gehabt, ich schäme mich. Nun auch für Frau Wolf, deren Schwachsinnigen-Partei ich natürlich nicht gewählt habe, die aber so laut quakt, daß man auch außerhalb Deutschlands über uns lacht.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

cool!