Ebenfalls aus einem Forum stammt die Anregung, meine Definition des sehr verbreiteten "Volksglaubens" einmal aufzuschreiben:
Es handelt sich in vielen Fällen dabei um einen „alltagstauglichen Gebrauchsglauben“. Meist zwar ausgehend von einer geerbten Konfession, deren offizielle Dogmen und Verdikte wegen Impraktikabilität und Inkompatibilität mit dem Alltäglichen und lieb gewonnenen Gewohnheiten meist sehr rasch ignoriert oder modifiziert werden, schaffen sich die allermeisten der sich heute „gläubig“ Nennenden eine „tribalisierte“, personalisierte und individualisierte „Glaubensversion“, in der sie alle Parameter selber festlegen, die sie gerne auch um diversen esoterischen Ballast (Astrologie, Engel etc.) anreichern.
Sie glauben dann daß jemand/etwas "da" ist, über sie wacht und sie unbedingt lieb hat und ihnen vor allem ein bequemes Leben nach dem echten Leben ermöglicht. Alle Vorschriften der institutionalisierten Religionen werden dabei zuerst sorgfältig darauf überprüft, ob sie sich in dieses Konstrukt eingliedern lassen und ob sie den Alltag in einer nicht hinnehmbaren Weise beeinflussen (so werden die den Religionen inhärente Leibes- und Lebensfeindlichkeit so gut wie immer ausgemerzt) und andernfalls bedenkenlos verworfen.
Dies ist freilich eine intellektuelle Unredlichkeit höchsten Grades, die allerdings erstens nur die Person selber betrifft und zweitens durch den von vorneherein irrationalen Zusammenhang legitimiert wird. Ein allzumenschlicher und durchschaubarer Kniff zur Bewältigung von Daseinsfurcht und der Angst vor dem Tod und er stellt in gewohnter Vorhersehbarkeit in unseren krisenhaften Zeiten eine eher schamanistische Annäherung an die Wirklichkeit dar. Es ist das Abwälzen von Verantwortlichkeit, das aus der Kindheit bekannte Sich-in-den-Schutz-Begeben, das Abwerfen der Last auf den eigenen Schultern.
Das Traurige ist, daß für offenbare sehr viele Menschen diese Bedürfnisse so fundamental und die Vorstellung einer kosmischen Leere und völligen Indifferenz, sowie der eigenen Bedeutungslosigkeit für den Fortbestand der Welt so vernichtend sind, daß sie bereit sind, sich mit aller Macht und Renitenz selbst zu betrügen, sich die Illusion ihrer personalisierten Gottfigur gegen den Widerstand der eigenen Ratio aufzuzwingen und entgegen der im Alltag normalerweise verläßlichen Intuition die bizarrsten Dinge zu glauben. Auf die völlige Evidenzlosigkeit für jeden einzelnen dieser Ansätze angesprochen, erfolgt so gut wie immer eine gegenstandslose Apologetik ala: „Tjaja, das ist eben das Geheimnis des Glaubens! Glauben ist nicht Wissen!“ etc. So entwaffnend, wie entlarvend...
Wie absurd die Vorstellung einer solchen, ja angeblich "allgütigen" Gottfigur ist, die einen nur in den Genuß ihrer Segnungen kommen läßt, wenn man sich vorher, wie ein Hund, der Männchen macht, ihre Gunst erbettelt hat (und damit ihre unbedingte Güte - eben - bedingt), indem man blind an sie und diverse ihr zugeschriebene Charakteristika glaubt, machen sich die Betroffenen wohl selten klar.
Um es klar zu sagen: jedem, der diese Lebenshilfen, diese Schienen für sein Gemüt benötigt, um halbwegs heil durch das Leben zu kommen (das einzige, was er hat und haben wird), seien sie gegönnt. Und dem steht ja meine Eutopie auch nicht entgegen und auch nicht meine Forderung, daß Menschen, die am diesseitigen sich und aneinander genug haben von denen, die einer selbsterzeugten Illusion bedürfen, auf keinen Fall aufgrund dieser Halluzination behelligt oder beeinflußt werden dürfen. Normal sollte im Jahre 2007 die Desillusion sein, demokratische Duldung sollte stattdessen das Bedürfnis zur Eigentäuschung erfahren, nicht umgekehrt. Aber gut, wir leben ja auch in einem Zeitalter der Entleuchtung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen